"Der Faschismus wird als Antifaschismus zurückkehren" – Oder wie man Geschichte verdreht und Widerstand diffamiert

Wenn ich einen Euro bekäme für jedes Mal, dass jemand die Antifa als "die wahren Faschisten" bezeichnet, könnte ich mir längst eine Villa in der Toskana leisten – ausgerechnet dort, wo der historische Faschismus seinen Ursprung nahm. Ironisch, nicht wahr? Doch bevor wir uns mit diesem absurden Vorwurf befassen, lohnt es sich, zunächst zu klären, worüber wir eigentlich sprechen.
Faschismus – mehr als nur ein Schimpfwort
Der Begriff Faschismus leitet sich vom italienischen Wort "fascio" (Bund) ab und war ursprünglich die Eigenbezeichnung der politischen Bewegung in Italien, die unter Benito Mussolini von 1922 bis 1943/45 herrschte und ein diktatorisches Regierungssystem errichtete[1]. Ab den 1920er Jahren wurde der Begriff auf alle ultranationalistischen, nach dem Führerprinzip organisierten, antiliberalen und antimarxistischen Bewegungen ausgeweitet, die die parlamentarischen Demokratien zu beseitigen suchten[1].
Was kennzeichnet also den Faschismus? Er ist nicht einfach nur "Politik, die mir nicht gefällt", wie manche heute den Begriff verwenden möchten. Stattdessen hat er konkrete Merkmale:
- Ein charismatischer Führer steht an der Spitze und fordert unbedingten Gehorsam[9][12]
- Ultranationalismus und Fremdenfeindlichkeit als ideologische Basis[1][12]
- Einsatz von Gewalt und Terror zur Machterlangung und -erhaltung[9][12]
- Ablehnung von Demokratie, Pluralismus und Parlamentarismus[1]
- Antiintellektualismus und Irrationalismus[14]
- Schaffung eines Feindbildes (oft ethnische oder religiöse Minderheiten)[3]
- Verherrlichung einer mythischen nationalen Vergangenheit[3][14]
Der Philosoph Umberto Eco, der unter Mussolini aufwuchs, identifizierte insgesamt 14 Merkmale des "Ur-Faschismus", darunter den Traditionenkult, die Ablehnung der Moderne, die Verachtung von Intellektuellen und die Ablehnung von Meinungsvielfalt[14].
Tja, und wenn ihr jetzt denkt: "Das klingt irgendwie vertraut...", dann liegt ihr vermutlich richtig.
Vom "Marsch auf Rom" zum "Führerbunker" – und darüber hinaus
Der italienische Faschismus unter Mussolini diente Hitler als strahlendes Vorbild. In "Mein Kampf" schwärmte er von Mussolinis "Entschlossenheit, Italien nicht mit dem Marxismus zu teilen" und nannte ihn einen der "Großen dieser Erde"[2]. Der "Marsch auf Rom" von 1922 inspirierte Hitler zu seinem eigenen Putschversuch im November 1923[2].
Die ideologische Verwandtschaft zwischen italienischem Faschismus und deutschem Nationalsozialismus ist unübersehbar, auch wenn der deutsche Faschismus mit seinem eliminatorischen Antisemitismus und der Rassenideologie eine noch mörderischere Variante entwickelte. Der Transfer von Ideen und Symbolen war umfassend: Der faschistische Gruß wurde zum "Deutschen Gruß", und der Faschismus als gewalttätige Politikform mit charismatischem Führertum wurde zum Leitbild[2].
Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand der Faschismus keineswegs, sondern lebte in verschiedenen Formen weiter. In Italien entstand mit dem "Movimento Sociale Italiano" (1946-1995) eine direkte Nachfolgeorganisation[1]. In anderen Ländern tauchten neofaschistische Bewegungen auf, die sich zum Führerprinzip und zu völkischem bzw. rassistischem Elitedenken bekannten[1].
Heute erleben wir weltweit einen Wiederaufstieg faschistischer Politik – von den USA über Myanmar und Indien bis nach Europa[3]. Obwohl sich die heutigen Rechtsextremen selten explizit als "Faschisten" bezeichnen (wer würde das schon?), bedienen sie sich derselben Strategien: Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Anti-Intellektualismus und die Mythologisierung einer angeblich glorreichen Vergangenheit[3].
"Die wahren Faschisten sind die Antifaschisten!" – Oder: Wie man rhetorisch die Realität auf den Kopf stellt
Kommen wir zum Kernthema: Dem absurden Vorwurf, die Antifa sei selbst faschistisch.
Was ist die Antifa überhaupt? Der Begriff "Antifa" steht für "Antifaschismus" oder "Antifaschistische Aktion" und bezeichnet kein einheitliches Gebilde, sondern einen Oberbegriff für verschiedene, meist locker strukturierte autonome Strömungen, die sich dem Kampf gegen Neonazismus, Antisemitismus, Rassismus und rechtsgerichteten Nationalismus verschrieben haben[4]. Es gibt keine zentrale Organisation, keinen Anführer, kein Hauptquartier[4].
Seit etwa 1980 werden Gruppen und Organisationen als Antifa bezeichnet, die nach eigenem Selbstverständnis Neonazismus, Antisemitismus, Rassismus und völkischen Nationalismus aktiv bekämpfen[4]. Sie stellen sich damit in die Tradition des historischen Antifaschismus seit den 1920er Jahren, also jener Bewegungen, die sich dem aufkommenden Faschismus in Europa entgegenstellten[4].
Doch warum behaupten Rechtspopulisten dann, die Antifa sei selbst faschistisch? Hierfür bedienen sie sich eines raffinierten rhetorischen Tricks: Sie zitieren gerne den italienischen Schriftsteller Ignazio Silone mit den Worten "Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: 'Ich bin der Faschismus.' Nein, er wird sagen: 'Ich bin der Antifaschismus.'"[5]
Oh, wie praktisch! Mit diesem Zitat kann man den Spieß einfach umdrehen und die eigentlichen Gegner des Faschismus als die "wahren Faschisten" darstellen. Nur: Das Zitat ist in dieser Form nicht nachweisbar. Die einzige Quelle dafür ist der Schweizer Essayist François Bondy, der es Jahre nach einem angeblichen Gespräch mit Silone aufgeschrieben hat[5]. Zudem wird es komplett aus dem historischen Kontext gerissen.
Silone war selbst ein vehementer Antifaschist, dessen Leben vom Kampf gegen den italienischen Faschismus geprägt war[5]. Wenn er tatsächlich etwas Ähnliches gesagt haben sollte, bezog er sich vermutlich auf die stalinistische Sowjetunion, die antifaschistische Rhetorik für ihre eigenen autoritären Zwecke instrumentalisierte – und nicht auf lose organisierte linke Gruppen, die gegen Neonazis demonstrieren.
Die Behauptung "Die Antifa ist faschistisch" ist somit nicht nur historisch unredlich, sondern auch logisch absurd. Wer Faschismus bekämpft, kann per Definition kein Faschist sein – genauso wenig wie ein Feuerwehrmann ein Brandstifter sein kann, nur weil beide mit Feuer zu tun haben.
Wer steht dem Faschismus wirklich nahe? Ein Blick auf die politische Landschaft
Während also die Antifa für ihren Kampf gegen Rechtsextremismus diffamiert wird, sollten wir unseren Blick auf jene richten, die tatsächlich Parallelen zum historischen Faschismus aufweisen.
Schauen wir beispielsweise auf die AfD. Diese Partei wird in drei Bundesländern (Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt) vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestuft[16]. Der AfD-Politiker Björn Höcke darf laut Gerichtsentscheidung sogar als "Faschist" bezeichnet werden[16]. Die AfD-Bundestagsfraktion beschäftigt über 100 Mitarbeitende aus dem rechtsextremen Milieu, darunter Personen aus dem Umfeld von Reichsbürgern und Neonazis[16].
Die AfD verharmlost immer wieder den Nationalsozialismus, ihre Spitzenpolitiker ignorieren deutsche Kriegsverbrechen und benutzen nationalsozialistische Sprache[16]. Höcke wurde sogar verurteilt, weil er wiederholt einen Spruch der nationalsozialistischen Sturmabteilung verwendete[16].
Andreas Kemper beschreibt die AfD als "profaschistisch", weil sie einerseits mit dem Höcke-Flügel ein "braunes Gärbecken" geschaffen hat und andererseits auf breiter Front alle Gruppierungen angreift, die antifaschistisch wirken[10]. Die Partei ist extrem nationalistisch, anti-liberal und anti-individualistisch, macht Flüchtlinge für gesellschaftliche Missstände verantwortlich und verbreitet ein mythisch-überhöhtes Bild der Nation[15].
Aber nicht nur die extreme Rechte zeigt bedenkliche Tendenzen. Auch bei der CDU sind beunruhigende Entwicklungen zu beobachten. So plädierte der Vorsitzende der CDU-Grundwertekommission, Andreas Rödder, dafür, die strikte Abgrenzung zur AfD aufzugeben und nötigenfalls CDU-Minderheitsregierungen zu bilden, die auf die Unterstützung der AfD angewiesen wären[7]. Der Kolumnist Stefan Giese kommentiert dazu: "Was Leuten wie Merz und Rödder vorschwebt, ist aus reinem Machtkalkül, den Faschisten von der AfD Einfluss auf die Regierungsgeschäfte einzuräumen – und damit auf unser aller Leben."[7]
Ist es nicht absurd? Da bekämpfen Antifaschist*innen die Wiederkehr faschistischer Ideologien, und werden dafür als "die wahren Faschisten" diffamiert – während jene, die tatsächlich faschistische Tendenzen zeigen oder mit Faschisten kooperieren wollen, sich als "besorgte Bürger" oder "Patrioten" inszenieren dürfen.
"Aber die Antifa ist doch gewalttätig!", höre ich manche rufen. Ja, in manchen antifaschistischen Kreisen wird Gewalt als legitimes Mittel angesehen – allerdings fast ausschließlich gegen Sachen oder zur Selbstverteidigung. Verglichen mit der systematischen Gewalt, die der historische Faschismus propagierte und praktizierte – einschließlich Massenmord, Völkermord und Weltkrieg – ist dieser Vorwurf lächerlich unverhältnismäßig. Es ist, als würde man einen Zahnstocher mit einer Kettensäge vergleichen.
Fazit: Wer die Geschichte nicht kennt...
Der Vorwurf, Antifaschist*innen seien selbst "Faschisten", ist nichts weiter als ein billiger rhetorischer Trick, um den Widerstand gegen rechtsextreme Tendenzen zu diskreditieren. Er verdreht die Geschichte, ignoriert die fundamentalen Unterschiede zwischen faschistischer Ideologie und antifaschistischem Engagement und lenkt von den tatsächlichen Gefahren ab.
Der Faschismus war und ist durch Ultranationalismus, Führerkult, Antiintellektualismus, Feindbildkonstruktion und die Verherrlichung von Gewalt gekennzeichnet. Die Antifa hingegen steht für den Kampf gegen genau diese Ideologie. Wer beides gleichsetzt, handelt entweder aus historischer Unkenntnis oder – wahrscheinlicher – aus politischem Kalkül.
Wenn wir aus der Geschichte lernen wollen, müssen wir wachsam bleiben gegenüber faschistischen Tendenzen – egal unter welchem Label sie daherkommen. Der echte Faschismus wird sich kaum als "Antifaschismus" tarnen. Viel wahrscheinlicher ist, dass er als "Patriotismus", "Traditionalismus" oder "Schutz unserer Kultur" auftritt. Er wird nicht sagen: "Ich bin der Faschismus", sondern "Ich bin die Alternative".
Es bleibt unsere gemeinsame Aufgabe, für eine offene, pluralistische und demokratische Gesellschaft einzutreten. Der Kampf gegen faschistische Tendenzen ist kein Hobby einiger "linksextremistischer Spinner", sondern eine demokratische Pflicht aller Bürger*innen. Und ja, manchmal bedeutet das auch, unbequem zu sein, laut zu werden und sich nicht mit einfachen Antworten zufrieden zu geben.
In diesem Sinne: Bleiben wir kritisch, bleiben wir wachsam – und vor allem: Bleiben wir antifaschistisch!
Quellen:
[1] Faschismus - Wikipedia
[2] Hitler und Mussolini: Brüder im Geiste | ZEIT ONLINE
[3] Faschismus und die mythische Vergangenheit - Westend Verlag
[4] Antifa - Wikipedia
[5] Silones Warnung - Jungle.World
[6] Die AfD ist profaschistisch - Campact Blog
[7] Meinung: CDU Seit an Seit mit Faschisten - SWR Aktuell
[8] Antifaschismus - Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz
[9] Definition Faschismus, Faschist · [mit Video] - Studyflix
[10] AfD / Faschismus - Andreas Kemper
[11] CDU warnt vor einem AfD-Verbotsverfahren und kritisiert die ...
[12] Faschismus | bpb.de
[13] Nationalsozialistisch, nicht faschistisch - Zeitschrift „Merkur“
[14] 14 Merkmale des Ur-Faschismus nach Umberto Eco
[15] Falsche Vergleiche: Vom schiefen Gebrauch der Geschichte
[16] 10 Argumente, die gegen die AfD sprechen - Campact
[17] Was ist Faschismus? Ursprünge und Wesensmerkmale
[18] AfD / Faschismus - Andreas Kemper
[19] Was sind die Merkmale faschistischer Parteien? - KAZ
[20] Ist eine Linke ungeeignet für den Schuldienst? Streit um ...
[21] Faschismus: Definition & Merkmale - StudySmarter
[22] Ungleiche Brüder im Geiste - Das Parlament
[23] Die Entstehung der faschistischen Ideologie. Von Sorel zu Mussolini.
[24] Antifaschismus - Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz
[25] "Küsst die Faschisten" | (Anti-)Faschismus | bpb.de
[26] Warum bezeichnet die MLPD die AfD als faschistisch? Die AfD und ...
[27] Umberto Eco - Essay "Der ewige Faschismus" - Spiegel
[28] Themenseite: Gegen rechte Hetze - Die Linke
[29] Die vollmundigen Wahlaussagen der AfD » ein Faktencheck
[30] AfD und Pegida - Die neuen Faschisten? - Etos.Media
[31] Nachkriegsgeschichte - Wie die CDU zum C kam - Deutschlandfunk
[32] Antifa - Wikipedia
[33] Bundestagswahl 2025: Wahlprogramme im Vergleich
[34] Debatte Politische Gewalt: Antifa ohne Faschismus | taz.de
[35] Ist Björn Höcke WIRKLICH ein Faschist? - YouTube
[36] Wenn dem Gegner nur der Nazi-Vergleich bleibt - Spiegel
[37] Die "Antifa": Antifaschistischer Kampf im Linksextremismus.
[38] Faschisten von heute? | (Anti-)Faschismus | bpb.de