Was Antifaschismus wirklich bewirkt hat – Eine Bilanz der Erfolge

Was Antifaschismus wirklich bewirkt hat – Eine Bilanz der Erfolge

Stellen wir uns kurz vor, es gäbe keine Antifa... vermutlich würden wir dann heute in einer Welt leben, in der rechtsextreme Strukturen noch tiefer in unsere Gesellschaft eingedrungen wären, in der viele Betroffene rechter Gewalt ohne Unterstützung dastünden und in der wichtige Aufklärungsarbeit über faschistische Netzwerke niemals stattgefunden hätte. Die Erfolge antifaschistischer Bewegungen sind real, auch wenn sie in der öffentlichen Debatte oft unsichtbar bleiben oder bewusst diskreditiert werden.

Antifa ist kein Verein – Eine kurze Begriffsklärung

Zunächst einmal: Die "Antifa" ist kein eingetragener Verein mit Vorstand und Mitgliedsbeiträgen. Sie ist ein heterogenes Spektrum verschiedener Gruppen und Einzelpersonen, die sich gegen Faschismus, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung engagieren. Diese Erkenntnis ist nicht neu, wird aber in öffentlichen Debatten regelmäßig ignoriert.

Die Wurzeln heutiger Antifa-Gruppen finden sich nicht in den Strukturen der historischen KPD oder SPD, sondern vielmehr im parteiunabhängigen Antifaschismus seit 1923 und den Protesten der Außerparlamentarischen Opposition (APO) der 1960er Jahre1. Während der antifaschistische Staat DDR die eigene Bevölkerung überwachte, bildeten sich im Westen Bündnisse gegen das Erstarken alter und neuer Nazis.

Früherkennung und Recherche – Die wirklichen Aufklärer

"Wer braucht schon BND, wenn man Handzettel und schwarze Kapuzenpullis hat?" Diese sarkastische Frage trifft durchaus einen wahren Kern: Während Verfassungsschutzbehörden V-Leute in rechtsextreme Strukturen einschleusten, die diese teilweise sogar finanziell unterstützten (wie beim Thüringer Heimatschutz, aus dem später der NSU hervorging)1, leisteten Antifa-Gruppen echte Aufklärungsarbeit.

Bereits in den 1970er Jahren entwickelte der Kommunistische Bund (KB) ein Aktionskonzept, das zum Ausgangspunkt der heutigen Antifa-Bewegung wurde:

  • Systematische Recherchen zu Nazistrukturen
  • Veröffentlichung der gesammelten Informationen
  • Bildung regionaler Initiativen gegen Neonazi-Aufmärsche1

Der Erfolg gab ihnen recht: 1977 veröffentlichte der KB detaillierte Informationen zur "Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten" (ANS/NA) um Michael Kühnen. Diese Recherchen führten 1978 zur Verhaftung der Führungsriege und 1983 zum Verbot der Gruppe1. Selbst der Verfassungsschutz musste anerkennen, dass die Informationsbroschüren des KB fundiert waren.

Schutz von Minderheiten und Verhinderung rechter Raumnahme

Während staatliche Stellen im NSU-Komplex versagten, indem sie jahrelang in Richtung "Ausländerkriminalität" ermittelten, statt rechtsextreme Strukturen zu untersuchen2, leisteten Antifa-Gruppen wichtige Arbeit zum Schutz von Minderheiten. Sie organisierten Mahnwachen, informierten Communities über rechtsextreme Bedrohungen und schützten alternative Wohnprojekte.

Besonders erfolgreich war und ist die Antifa in der Verhinderung rechter Raumnahme. Drei Fallbeispiele:

Leipzig-Connewitz

Als am 11. Januar 2016 rund 250 bewaffnete Neonazis und Hooligans durch den alternativen Stadtteil Connewitz in Leipzig zogen und massiven Sachschaden anrichteten, bildete sich ein breites antifaschistisches Bündnis, das den Rechtsextremen zeigte: "Ihr bekommt diesen Kiez nicht"3. Seither ist Connewitz ein Symbol des Widerstands gegen rechte Gewalt.

Göttingen

In Göttingen wehrt sich seit Jahren eine starke Antifa-Szene gegen rechtsextreme Aufmärsche. Als der rechtsextreme "Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen" versuchte, in der linken Hochburg Fuß zu fassen, mobilisierte die Antifa breite Gegenproteste9. Dieser konsequente Widerstand hat dazu beigetragen, dass Göttingen für Rechtsextreme kein einfaches Pflaster ist.

Berlin-Kreuzberg

In Berlin-Kreuzberg haben linke und antifaschistische Gruppen seit den 1980er Jahren eine lebendige Protestkultur aufgebaut. Die "Revolutionären 1.-Mai-Demonstrationen" trugen dazu bei, dass rechtsextreme Strukturen im Stadtteil kaum Fuß fassen konnten8. Stattdessen entwickelte sich eine multikulturelle, alternative Kiez-Identität.

Kultureller Widerstand und Erinnerungskultur "von unten"

Neben direkten Konfrontationen mit rechtsextremen Strukturen sind auch die kulturellen Erfolge der Antifa-Bewegung beachtlich. 1979 organisierte der KB das erste "Rock gegen Rechts"-Konzert, zu dem rund 50.000 Menschen nach Frankfurt kamen. Damit integrierte die Antifa-Bewegung erfolgreich die alternative Kulturszene in ihre Aktionen1.

In der Erinnerungskultur leisten antifaschistische Initiativen wichtige Arbeit "von unten", indem sie Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Nationalsozialismus und rechter Gewalt organisieren, alternative Stadtführungen anbieten und die deutsche Geschichte kritisch beleuchten.

Antifaschismus in der DDR – Ein besonderes Kapitel

Ein besonderes Kapitel des Antifaschismus schrieben mutige Aktivist*innen in der DDR. Vor 30 Jahren gründete sich die erste Antifa-Gruppe in der DDR in Potsdam. Stephan Martin, einer der Mitgründer, erinnert sich: "Wir wollten an die Öffentlichkeit gehen und die Menschen darüber aufklären, dass es Neonazis in der DDR gibt. Das war ja ein Widerspruch in sich: Im antifaschistischen Selbstverständnis des Staates hätte es nazistische und rassistische Bewegungen gar nicht geben dürfen."6

Diese Gruppen stellten sich nicht nur gegen Neonazis, sondern hinterfragten auch die Verlogenheit des DDR-Systems, das sich zwar antifaschistisch nannte, aber die gesellschaftliche Zustimmung der eigenen Bevölkerung zum Nationalsozialismus weitgehend tabuisierte1.

Die Meta-Bilanz: Was hat die Antifa wirklich bewirkt?

Die Erfolge antifaschistischer Bewegungen lassen sich sowohl quantitativ als auch qualitativ messen:

Quantitative Erfolge:

  • Zahlreiche verhinderte Nazi-Aufmärsche
  • Aufdeckung rechtsextremer Netzwerke, die zu Verboten führten
  • Schutz alternativer Stadtviertel vor rechter Raumnahme

Qualitative Erfolge:

  • Verschiebung des öffentlichen Diskurses hin zu mehr Sensibilität gegenüber rechtsextremen Strukturen
  • Aufbau einer lebendigen, antifaschistischen Erinnerungskultur
  • Integration von Kulturarbeit in den antifaschistischen Kampf

Die Antifa-Bewegung hat zudem eine wichtige Rolle als "Jugendorganisation" gespielt. Für viele Menschen war und ist das Engagement in antifaschistischen Gruppen der Einstieg in politisches Handeln. Wie eine soziologische Untersuchung zeigt, sind die Attraktivitätsmomente autonomer Antifa-Szenen sowohl die moralisch hohe Wertigkeit des Engagements gegen Rechts als auch die Möglichkeit klarer politischer Positionierung in einer Zeit unklarer politischer Zusammenhänge4.

Aktuelle Herausforderungen und Ausblick

Die Erfolge der Antifa-Bewegung sind beachtlich, doch die Herausforderungen bleiben groß:

  1. Digitale Netzwerke: Die "Neue Rechte" nutzt zunehmend digitale Plattformen für ihre Propaganda. Hier müssen neue Formen des antifaschistischen Widerstands entwickelt werden.
  2. Staatliche Repression: Bei den "Tag-X"-Protesten in Leipzig 2023 wurden 4.000 Polizist*innen, 17 Wasserwerfer und vermummte Staatsanwälte eingesetzt, um linksradikalen Protest zu unterdrücken14. Diese Kriminalisierung antifaschistischen Engagements ist besorgniserregend.
  3. Vernetzung rechtsextremer Akteure: Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet eine zunehmende Vernetzung von Akteuren der Neuen Rechten mit extremistischen Akteuren der AfD und Personen aus rechtskonservativen Kreisen12. Diese Normalisierung rechtsextremer Positionen stellt eine besondere Gefahr dar.

Fazit: Wer, wenn nicht die Antifa?

Wenn das "linke Gesindel" nichts getan hätte, wer dann? Vielleicht das Einhorn-Kommando der "Mitte"? Die Geschichte zeigt, dass antifaschistische Bewegungen eine unverzichtbare Rolle im Kampf gegen rechte Gewalt und Ideologie spielen. Während staatliche Behörden oft versagen oder sogar rechtsextreme Strukturen unterstützen (wie im Falle des Thüringer Heimatschutzes)1, leisten Antifa-Gruppen wichtige Aufklärungsarbeit, schützen Betroffene und bauen solidarische Strukturen auf.

Der Kampf gegen Faschismus und Rassismus bleibt eine dauerhafte Aufgabe. Die Erfolge der Vergangenheit zeigen jedoch, dass es sich lohnt, für eine offene, solidarische und antifaschistische Gesellschaft einzutreten. Oder um es mit den Worten eines alten antifaschistischen Sprichworts zu sagen: "Wehret den Anfängen!" – denn die Geschichte lehrt uns, dass aus kleinen braunen Pflänzchen schnell giftige Bäume werden können.

Quelle:

  1. https://de.wikipedia.org/wiki/Antifa
  2. https://mediendienst-integration.de/artikel/viele-fragen-sind-bislang-nicht-beantwortet-worden-nsu-rechtsextremismus.html
  3. https://antifainfoblatt.de/aib121/connewitz-prozesse-ohne-opferperspektive
  4. https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs/1072_16388_Linke_Militanz_im_Jugendalter.pdf
  5. https://antifa-info.net/hintergrund/blockaden-im-wandel-der-zeit/
  6. https://taz.de/Mitgruender-ueber-erste-DDR-Antifa-Gruppe/!5463657/
  7. https://d-nb.info/964631822/34
  8. https://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Mai_in_Kreuzberg
  9. https://taz.de/Antifa-verteidigt-Goettingen/!5393764/
  10. https://www.bild.de/regional/leipzig/leipzig-news/antifa-demo-in-leipzig-polizei-rechnet-mit-linksextremen-angriffen-77711956.bild.html
  11. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/schwerpunkte/DE/extremismuspraevention/schwerpunkt-extremismuspraevention.html
  12. https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/hintergruende/DE/rechtsextremismus/das-netzwerk-der-neuen-rechten.html
  13. https://library.fes.de/pdf-files/afs/bd53/15_spaeth.pdf
  14. https://www.akweb.de/bewegung/repression-wirkt-tagx-demoverbot-polizeigewalt-leipzig-3-juni-2023/
  15. https://docupedia.de/zg/Spaeth_antifaschismus_v1_de_2019
  16. https://de.wikipedia.org/wiki/Antifaschismus
  17. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/archiv/535543/antifaschismus-und-politische-kultur-in-deutschland-nach-der-wiedervereinigung/
  18. https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/Publikationsreihen/Forschungsergebnisse/2016KonfrontativeFeindbilderUndIhreEntstehungsbedingungen.pdf?__blob=publicationFile&v=9
  19. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/257668/von-rom-nach-charlottesville/
  20. https://aktionsbuendnis-brandenburg.de/nsu-prozess-der-zeuge-piatto/
  21. https://jule.linxxnet.de/8-jahre-nach-dem-angriff-von-neonazis-in-connewitz-die-juristische-und-gesellschaftliche-auseinandersetzung-haelt-an-13-02-2024/
  22. https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/RosaLux_3_2008.pdf
  23. https://www.apabiz.de/wp-content/uploads/Monitor_Nr50.pdf
  24. https://mosaik-blog.at/antifaschismus-in-der-krise/
  25. https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1975_3_3_niethammer.pdf
  26. https://library.fes.de/pdf-files/pbud/21695.pdf
  27. https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/linksextremismus/zahlen-und-fakten/zahlen-und-fakten_node.html
  28. https://www.berlin.de/polizei/_assets/verschiedenes/pks/jahresbericht_pmk_2014.pdf
  29. https://berlin.vvn-bda.de/2025/01/wenn-antifaschistinnen-erfolg-haben/
  30. https://de.wikipedia.org/wiki/Antifa%C5%9Fist_Gen%C3%A7lik
  31. https://www.morgenpost.de/berlin/article408437301/so-viele-rechte-straftaeter-erfasste-die-berliner-polizei-2024.html
  32. https://polizei.nrw/sites/default/files/2025-03/lagebild_rechtsextremismus_2025_0.pdf
  33. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168872.antifa-seit-jahren-im-namen-silvio-meiers.html
  34. https://www.fodex-online.de/fodex-data/akten/pdf/2019/Demokratie-Dialog-4-19-Web.pdf
  35. https://www.l-iz.de/leben/faelle-unfaelle/2021/10/antifa-demonstrationen-am-23-oktober-2021-das-verwaltungsgericht-leipzig-bestaetigt-versammlungsverbot-416623
  36. https://www.lfv.bayern.de/linksextremismus/definition/aktionsfelder/antifaschismus/index.html
  37. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/sicherheit/vsb2023-BMI24018.pdf?__blob=publicationFile&v=10
  38. https://www.deutschlandfunk.de/mythos-antifa-zwischen-engagement-und-gewalt-100.html